Paso Doble

Aufenthalt von Mai bis August 2019
Inspirationen – Das Meer – die Balearen – die JØrn Utzon Foundation
Gabriele Heider im Gespräch mit Joachim Kliesen, einem langjährigen Freund

Es geht um den Prozess meines ureigensten Lebens

JK: Gibt es spontane Auslöser für die intensive Auseinandersetzung mit Farbe und Raum?

GH: Die Arbeiten entstehen aus meinem inneren Körpergedächtnis. Ich nähere mich dem Unterbewusstsein mit Farbe, Material und Form. Die Bilder entstehen aus der Bewegung meines Körpers und dem Ort, wo die Bilder entstehen – immer aus einer großen inneren Konzentration.

JK: Ist dein Atelier überall? Ist es die ganze Welt? Wie wichtig ist ein eigenes Atelier nach klassischen Maßstäben? 

GH: Ich habe mir die Welt als unendliches Atelier, nach sehr langem Sein, an einem vermeintlich sicheren Ort, in einem veränderten Bewusstseinsprozess, erarbeitet. Meine Kunst folgt meiner inneren Freiheit. Aus einer inneren Architektur des Seins. Die Weiterentwicklung ensteht in Schüben, ohne konkrete Planung. Ich muss alle Impulse beim Malen für mich zulassen – die vorgegebene Umgebung, die Landschaft, die Räume – das ergibt dann möglicherweise ein fertiges Bild. Dieser Prozess ist meine „Architektur des Seins“, die sich dauernd verändert, ungesteuert und frei. Aus dem vorgegeben Lebensentwurf mit Hof und Atelier bin ich ausgestiegen. An die innere Entwicklung muss man sich trauen, man muss ganz viel zulassen, weil man sicheren Boden und altbewährte Zusammenhänge verlässt. Bewusstseinsentwicklung kommt in Schüben. 

Architektur
des
Unendlichen

JK: Manchmal fühle ich in Deinen Bildern eine ganze Landschaft, ein ganzes Land, die ganze Natur? 

GH: Ja, ein wichtiges Beispiel ist die Arbeit „Try To My Subconscious“. Das ist eine großformatige Arbeit von über zwei Metern. Durch großformatige Arbeiten ist es mir möglich, mich selbst anders körperlich zu bewegen und zu erfahren. Neu anzufangen und vor einer großen Leinwand zu stehen, bedeutet einen hohen energetischen Aufwand. Dazu brauche ich Bewegung, um mir somit den neuen Ort, die neuen Landschaften und die Umgebung anzueignen und mental in die Malerei umzusetzen. Durch das Reisen und das Aufspüren von Kraftorten begebe ich mich in innere neue Welten. Dazu gehört, dass ich neue Farben zulasse. Ich arbeite mit Pigmenten und eigenen, selbst hergestellten Mixturen und Emulsionen, die eine hohe Leuchtkraft besitzen und in der Qualität den Gesetzmäßigkeiten der Natur Stand halten können. Der Umgang mit den Farben ist ein Wissen, das ich mir über Jahrzehnte angeeignet habe. Die Farben besitzen eine hohe Qualität und Dichte. Die Motivation, die Bilder zu machen, die ich male, entstehen aus dem ganz tiefen Inneren. Das ist die Anstrengung und die entsteht aus einem inneren Druck. Ich gehe millimeterweise nach Innen und daraus entsteht das Neue, die neue Bildwelt.

JK: Was sagen die Bildtitel? Sind sie Interpretation, Gefühl, Erklärung, Hinweis? Kannst Du dich von Dingen, die dein Leben begleiten, einfach trennen? 

GH: Am liebsten wären mir alle Bilder „Ohne Titel“, da die Malerei und die Farben für sich selbst sprechen. Ich überlasse die Freiheit der Interpretation gerne dem Betrachter. Worte, Sätze, Titel haben wiederum einen eigenen Ausdruck und eine eigene Identität. Der Titel „Try To My Subconscious” ist jedoch ein wichtiger Titel, da er mit der Erforschung des Selbst und damit mit dem neu entstandenen Produkt in der Malerei zu tun hat. Man könnte den Katalog so nennen. „Paso Doble“ als Katalogtitel lässt aber mehr Freiheit zu und ist spielerischer als ein Titel über das Unterbewusstsein.

Sachen, von denen man sich trennt, sind nicht nur Sachen. Diese Gegenstände enthalten Erinnerungen und beinhalten Lebensentwürfe vergangener Zeiten. Ich habe mir diese Erinnerungen durch meine großformatigen Bilder angeeignet und umgesetzt. Durch das Reisen mit dem Caravan durch Europa in den letzten zwei Jahren habe ich gelernt, dass zu viele Sachen die Freiheit behindern, wenn man sich bewegen möchte. So kann Neues entstehen. 

JK: Das Meer ist irgendwie immer in Deinen Bildern. Ist es der Drang, weshalb Du überhaupt so arbeiten kannst? 

GH: Ich habe direkt am Meer gearbeitet und dort auch auf den Klippen geschlafen. Ich habe das Meer, seine Tiefe und Unendlichkeit über Monate erfahren und daraus ist dieses Bild „Ocean“ entstanden. Die Jørn Utzon Foundation liegt direkt am Meer und ist ein enormer Kraftort.

JK: Architektur, Maßstab, Dimension? Deine Bilder füllen gefühlt ganze Gebäude. Eine Verdichtung von Natur, Landschaft, Meer, Geruch, Gefühl.   

GH: Solche Orte muss man auch aushalten. Sie spiegeln den Prozess der Natur und werfen einen als Person enorm auf sich selbst zurück. Diese Orte zeigen, dass man das Produkt des eigenen Bewusstseins ist. Das direkte Erleben der Natur in dieser Gewaltigkeit lässt in einem anderen Ausmaß Gedanken und Freiheit von innen auf einen zu kommen, die eben auch die Materialität und den Maßstab der Bilder und die Auffassung über das Sein beeinflussen. Diese Kraft und Intensität überträgt sich auch energetisch auf die Räume bzw. die Architektur, wo die Bilder hängen werden. Die Werke bringen diese Freiheit und Gedanken in ganze Gebäude hinein.

JK: Deine Bilder haben eine ungeheure Dichte und intensive Materialität. 

GH: Da ich in sehr großer räumlicher Freiheit mit Tieren, Steinen, Lehm und Ton im Kontext der Tradition, Geschichte und Architektur meines Großvaters aufgewachsen bin, gab es zahlreiche Möglichkeiten, mit dem eigenen Lebensumfeld zu spielen und zu experimentieren. Daraus hat sich eine starke Materialität entwickelt. Ich konnte schon als Kind vom Gefühl her in der „Unendlichkeit“ spielen und ohne konkrete Zielsetzung an irgendetwas forschen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich Künstlerin geworden bin. Grenzenlosigkeit und der Maßstab meiner Bilder orientieren sich an der ganzen Umgebung. Früher war es das eigene Lebensumfeld und heute suche und finde ich Kraftorte in der ganzen Welt, um diese ursprüngliche Erfahrung weiterzuentwickeln. Damit erweitere ich meine Weltanschauung und auch den Ausdruck meiner Bilder.

JK: „When The Swallows Fly”. Ein großes, großartiges Bild. Voller Kraft, Tiefe und Energie.

GH: In den Jahren auf Gut Friedrichstein waren diese Schwalben ständige Begleiter. Auf den Balearen auch. Das war oft in meiner Erinnerung.

JK: Der Faltenwurf, ist das eine neue Dimension in einigen Bildern?  

GH: Einige Bilder sind in der freien Natur und am Meer direkt auf unbespannte Leinwände gemalt. Die Farben, Pigmente, Emulsionen und das Kasein habe ich teilweise zentimeterdick aufgetragen, die tagelang gebraucht haben, um zu trocknen. Durch das Klima, die Hitze und das Licht sind diese gewaltigen Falten entstanden.

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